Geburtstag
Dr. Mahmood Falaki
Als die U-Bahn anhält und die Tür aufgeht, reißt sie ihre kleine Hand aus meiner Hand und springt hinein. Ich weiß, dass sie nun nach einem Fensterplatz sucht. Sie wird ziemlich verärgert sein, wenn sie keinen findet. Sie findet aber einen Platz und ruft mich glückstrahlend zu sich. Heute hat sie Geburtstag. Wir sind gerade auf dem Weg, ihr eine Geburtstorte und Kerzen zu kaufen.
„Papa, wie alt werde ich jetzt?“ Ich will ihr sagen, dass sie diese Frage bereits mehrmals gestellt hat. Ich lasse es aber Lieber und antworte wieder: „Sieben Jahre alt.“ Mir scheint, diese Zahl hat eine magische Wirkung auf sie, so dass sie sie ständig hören möchte. Daraufhin richtete sie ihre schwarzen Augen auf die Frau, die steif vor ihr sitzt, und lächelt sie an. Sie glaubt wahrscheinlich, dass diese Frau oder die anderen unsere Sprache verstehen und alle nun wissen, dass sie heute Geburtstag hat und sieben Jahre alt wird.
Flüchtig wirft ihr die Frau aus ihrem Augenwinkel einen Blick zu, richtet aber sofort wieder die Augen nach vorne. Sie zieht ihre Beine an. Sie ist gut fünfzig Jahre alt. Ihre weiße Bluse ist so porentief sauber, als wäre noch nie ein Staubkörnchen darauf gewesen. Wie akkurat sie doch ihre roten Haare hinten zusammengebunden hat! Mit einer Kopfbewegung wirft meine Tochter ihre Haare aus der Stirn und hebt ihre neuen Schuhe etwas hoch, um sie der Frau zu zeigen. Als diese nicht darauf reagiert, sagt sie auf Persisch, dass sie die Schuhe erst neulich gekauft hat. Dann wiederholt sie den Satz auf Deutsch. Die Frau dreht ihren Kopf leicht zu ihr und öffnet die Lippen zu einem Lächeln, das nicht mehr als ein flüchtiges Zucken ist. Unter der Last meines Blickes dreht sie mir langsam den Kopf zu, schaut aber sofort wieder weg, setzt sich aufrecht hin und starrt wieder nach vorn. Die U-Bahn fährt nun langsamer. Sie erreich die nächste Haltstelle und kommt zu stehen.
Deutlich hörbar steigt eine junge Frau ein, die einen Hund an der Leine führt. Sie schaut sich um und setzt sich mir gegenüber. Der Hund legt sich zu Füßen seiner Besitzerin gemütlich auf meine Schuhe. Der Zug fährt los. Die Frau, die vor meiner Tochter sitzt, wendet ihren Blick dem Hund zu und streichelt ihm lächelnd über den Rücken. Sie fragt die Besitzerin nach Namen und Alter des Hundes. Ihre weichen Hände gleiten sanft über den Rücken und Kopf des Hundes. Meine Tochter schaut auf die Hände der Frau, die im Fell des Hundes Wellen auslösen. Der Zug verlangsamt seine Geschwindigkeit und kommt zum Stehen. Wir müssen aussteigen. Ich nehme die Hand meiner Tochter. Wir gehen los. Nach ein Paar Schritten dreht sie den Kopf zurück. Sie guckt auf die Hände der Frau, die immer noch im Fell des Hundes zärtlich Wellen bilden.
1. Aus dem Buch „Ich bin Ausländer und das ist auch gut so“, 7. Auflage, Sujet Verlag, Bremen 2024
Diese Geschichte wird in deutschen Schulbüchern verwendet.
2. Foto von Hami Abbaspur
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