ERINNERUNGEN EINES BEUTEPERSERS
Dr. Peter Schütt
Peter Scholl-Latour, der allseits präsente Orientreporter, hat mich in einem Fernsehinterview einmal als „Beuteperser “tituliert. Tatsächlich fühle ich mich mit der iranischen Kultur und Literatur fast mein Leben lang verbunden. Das persische Nationalepos, Firdousis „Schahname“, habe ich in seinen Grundzügen noch in meiner Schulzeit kennen gelernt. Es war die Zeit, in der Soraya als die letzte deutsche Kaiserin die Träume der Bundesrepublikaner beherrschte. Zuhause hatten wir eine einzige Zeitschrift abonniert, die Rundfunkillustrierte „Hörzu“, das Zentralorgan des Sorayakults.
Darin wurde, begleitet von bunten Bildern des Schahs und der Schahbanu, ausführlich das „Schahname vorgestellt, und ich habe alle Folgen verschlungen.
Soraya
Die schönen Übersetzungen von Djalal Khaleghi-Motlagh und seine Studien zu den Frauengestalten im „Schahname“ habe ich erst viel später, im Zusammenhang mit meinen Arbeiten zum „Nibelungenlied“, unserem deutschen Nationalepos, gelesen.
In meiner Doktorarbeit habe ich mich mit den Tragödien des deutschen Barockdichters Andreas Gryphius befasst. Eine davon, „Katharina von Georgien“, spielt zur Hälfte in Isfahan. Dort versucht Schach Abbas vergeblich, die keusche christliche Katharina in seinen Harem zu locken. Die Orientalistin Katharina Mommsen war Gast in einem Seminar über Goethes „West-Östlichen Diwan“, das ich als Assistent begleitet habe, und lenkte meine Aufmerksamkeit auf das „morgenländische Auge“ des Dichters. Unter ihrem Einfluss begann ich, mich in die Dichtungen von Hafez, Rumi und Nizami zu vertiefen. Nizamis „Layla und Madschnun“ wurde zu meiner Lieblingsdichtung und inspiriert mich bis heute. In meiner westöstlichen Gedichtsammlung „Altweibersommernachtstraum“ habe ich versucht, auf meine alten Tage dieser alten Liebe noch einmal Ausdruck zu verleihen. Keinem anderen iranischen Autor fühle ich mich so sehr verbunden wie Mahmud Doulatabadi.
Ich habe nicht nur all seine von Bahmam Nirumand ins Deutsche übersetzten Romane mit großer Bewegung gelesen, sondern darf mich glücklich schätzen, für mehrere Tage und Nächte in seiner Berghütte zu Füßen des Damovand sein Gast gewesen zu sein. Seine Liebenswürdigkeit, sein Humor, aber auch sein Mut, für die Wahrheit einzustehen, bleiben für mich unvergessen.
Auch die ins Deutsche übertragenen Romane und Essays von Amir Hassan Cheheltan habe ich immer mit Gewinn gelesen. Vor zehn Jahren war Cheheltan als Literaturstipendiat Gast in Berlin.
Er kam damals auf Einladung des Schriftstellerverbandes auch zu einem Vortrag nach Hamburg, vorgesellt und übersetzt von Mahmood Falaki. Er beeindruckte mich mit seinem klaren Urteil und seinem Bemühen, zwischen den politischen und literarischen Fronten zu vermitteln.
Die deutsche Gegenwartsliteratur verdankt den Zuwanderern aus dem Iran eine vielfältige Bereicherung. Ich vermute, der nächste deutsche Nobelpreisträger heißt Navid Kermani.
Nach Böll und Grass sollte Deutschland einmal wieder dran sein, und Kermani als der derzeit einfluss- und erfolgreichste deutschsprachige Autor ist nicht zuletzt auch als Migrant der aussichtsreichste Kandidat.
Ein anderer namhafter Autor mit iranischen Wurzeln ist der kürzlich verstorbene Lyriker SAID, dem es
vielleicht am besten gelungen ist, Bilder, Metaphern und Symbole aus der persischen Poesie in modernes Deutsch zu übertragen.
Als Erzählerin überzeugt mich am meisten Fahimeh Farsaie. In ihren autobiographisch geprägten Erzählungen und Romanen verbindet sie bedrückende Erlebnisse und Erfahrungen aus dem Iran mit ihrer Exilsituation in der Bundesrepublik.
Auch im Hamburger Kulturbetrieb haben die Hinzugekommenen aus dem Iran ein gewichtiges Wort mitzureden. Bestes Beispiel ist für mich der Kunsthändler und –Vermittler Nour Nouri, Leiter der Pashmin Art Gallery am Berliner Tor, mit dem ich schon seit fast 25 Jahren als Kunstkritiker, als Referent und als bester Freund zusammenarbeite. Er hat sich auf den Kultur- und Kunstaustausch mit China konzentriert und unterhält in Shanghai, Hamburgs Partnerstadt, in Beijing und Chongking drei Partnergalerien. Die Beiträge, die ich für seine Kataloge schreibe, werden zugleich ins Englische und Chinesische übersetzt. So global vernetzt wie Pashmin ist meines Erachtens an Elbe und Alster keine andere Galerie.
Als Autoren sind Mahmood Falaki und Farhad Schowgi im doppelten Sinn in der Hansestadt angekommen. Sie sind anerkannte Autoren und haben ihre iranische Herkunft inzwischen auch thematisch hinter sich gelassen. Falakis Gedichte, Erzählungen und Romane sind ebenso wie die Lyrik, die Betrachtungen und psychiatrischen Studien Schowgis in ihrer Mehrheit in der multikulturellen Alltagsrealität dieser Stadt angesiedelt. In Hamburg gibt es auch viele Dichter und Schriftsteller aus Länder wie Iran, Afghanistan, Tadschikistan und…, die fast alle auf Persisch schreiben. Die Liste dieser Gruppe ist lang, und nicht alle Namen sind hier aufgeführt. Neben professionellen Schriftstellern und Dichtern gibt es auch eine große Gruppe Junger Menschen, die auf Persisch Gedichte schreiben, Artikel verfassen und ihre Werke in verschiedenen literarischen und kulturellen Gruppen in Hamburg präsentieren.
Den Brückenschlag zu diesem exiliranischen Zirkel der Literaturliebhaber verdanke ich meinem ziemlich bestem persischen Freund Ahmad Hosseini, dem ich vor fast vierzig Jahren zum ersten Mal begegnet bin, als er nach seiner Auswanderung im multikulturellem Szeneviertel St. Georg eine Schneiderwerkstatt betrieb. Aber er konnte weit mehr als Hosen kürzen und Brautkleider nähen. Er entwickelte sich zum Universaltalent, begann zu schreiben, engagierte sich in meiner „Werkstatt Waschhaus Wesselyring“ und beteiligte sich an unseren Gemeinschaftslesungen Er begann zu malen und zu zeichnen. Der irakische Maler Bassim al-Shadir und die Hamburger Künstlerin Karin Witte wurden zu seinen wichtigsten Lehrmeistern. Er entwickelte sich zu einem begabten und einfallsreichen Fotografen und erstellte seine Werke in verschiedenen Alben.
Ehrenamtlich ist Ahmad Hosseini als Betreuer und Helfer in Hamburger Gefängnissen, Altersheimen und sozialen Einrichtungen tätig. Er ist immer zur Stelle, wenn ich Hilfe brauche und bereitet mir jedes Mal eine besondere Freude, wenn er eines meiner „orientalisierenden“ Liebesgedichte meisterhaft ins Farsi überträgt und über die sozialen Medien bis hinein in den Iran verbreitet.
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